Dramaturgie des 'erlebnisorientierten' Museums
Bei dem Forschungsprojekt handelt es sich um eine Mixed-Methods-Studie zum Wandel von Distinktionsformen in sich ebenfalls wandelnden Museen.
Wir sind der Frage nachgegangen, inwiefern Museen verschiedener Genres heutzutage als erlebnisorientiert zu bezeichnen sind und welche Folgen dies u.a. für Distinktionsgelegenheiten und -verhalten hat.
Zentral war es, die Wechselwirkungen zwischen Perspektiven der Museumsverantwortlichen sowie den entsprechenden Ausstellungsinszenierungen (‚Kulturangebot‘) auf der einen Seite und dem Besucher- und Besucherinnenverhalten auf der anderen Seite (‚Kulturaneignung‘) herauszuarbeiten.
Theoretisch haben wir uns an ungleichheits- und kultursoziologischen, aber auch differenzierungstheoretischen Konzepten orientiert.
Methoden
In einem methodenpluralen Design haben wir in einem breiten Spektrum von Museumsgenres zahlreiche Beobachtungsprotokolle u.a. zu den Ausstellungsinszenierungen sowie zum Verhalten des Publikums und Personals angefertigt. In ausgewählten Museen haben wir Leitfadeninterviews mit Verantwortlichen geführt. In drei kontrastierenden Häusern wurden zudem standardisierte Publikumsbefragungen und Beobachtungen eingesetzt.
Befunde
- Erlebnisorientierung: Im Kontext eines in der Literatur und Interviews diagnostizierbaren Wandels von Museen im Zuge allgemeinerer Individualisierungsprozesse verstehen wir unter Eventisierung im Projektkontext ein auf Emotionalisierung und Unterhaltung des Publikums ausgerichtetes ‚Erlebnisversprechen‘. Anzeichen hiervon können z.B. eine ausgeprägte Kontextualisierung von Exponaten oder der Ausstellung sowie verschiedene Arten von Aktivitätsoptionen (z.B. Mitmachstationen oder Veranstaltungen) sein. Auf diese Weise werden unterschiedliche Eventisierungsprofile von Museen und Haltungen zur Erlebnisorientierung erkennbar.
- Spannungsfelder: Mit diesem Trend zur Erlebnisorientierung gehen verschiedene Spannungsfelder einher. Museumsverantwortliche orientieren sich bei der Adressierung ihres Publikums und der Gestaltung von Ausstellungen auf der einen Seite an einer Souveränitätsrhetorik im Sinne eines ‚Selbermachens‘ und ‚Selbstentscheidens‘, während sie auf der anderen Seite ihr Publikum raum-zeitlich lenken – was sich auch durch Beobachtungen des Publikums zeigen lässt. Weiterhin stehen Museumsverantwortliche oftmals in einem Dilemma zwischen dem ‚Markenkern‘ ihres Hauses und ökonomischen, pädagogischen sowie förderpolitischen Anforderungen. Die Entwicklung eines ‚Hybridangebots‘ ist dabei eine, aber nicht ‚die‘ Antwort schlechthin auf entsprechende Interessenkonflikte.
- Distinktion: Eine These dazu lautet, dass Museumsverantwortliche oft eher ambivalente Öffnungssignale setzen und dadurch – meist eher beiläufig als explizit – Schließungseffekte erzeugen. Das Distinktionsverhalten des Publikums ist unseren eingehenden methodischen Reflexionen zufolge empirisch weniger gut nachweisbar, als man es z.B. Bourdieu gemäß annehmen könnte. Eine Erweiterung der Perspektive ergibt sich hier durch die Gegenüberstellung von Distinktion und Inszenierung (nach Goffman).
Projektlaufzeit
04/2014 bis 03/2017 (36 Monate)
Projektteam
Prof. Dr. Diana Lengersdorf, Universität zu Köln
Dr. Jennifer Eickelmann (Standort Dortmund)
Julia Heidler, Universität zu Köln
Publikationen
2023 | Eickelmann, Jennifer; Burzan, Nicole: Challenges of multimethod and mixed methods designs in museum research [36 paragraphs]. In: Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 24(1), Art. 12, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-24.1.3988 , Special Issue “Mixed Methods and Multimethod Social Research – Current Applications and Future Directions”. |
2022 | Burzan, Nicole; Eickelmann, Jennifer: Machtverhältnisse und Interaktionen im Museum. Frankfurt a.M./New York: Campus. |
2018 | Eickelmann, J.: Von Konzepten und ihren Kategoriensystemen: Erörterungen zu Erlebnisorientierung in Museum, Kirche und Kaufhaus als Figuration, in: Burzan, N./ Hitzler, R. (Hrsg): Typologische Konstruktionen. Prinzipien und Forschungspraxis. Wiesbaden, VS: 153-178 zum Beitrag |
2017 | Burzan, N.: Menschen im Museum. Theoretische Perspektiven auf empirische Erkundungen. In: Sociologia Internationalis, 55 (1), S. 1-26. |
2017 | Burzan, N.: Zum Wandel von Raum- und Zeitstrukturierungen am Beispiel von Museen. In: Zeitschrift für Theoretische Soziologie (ZTS), Sonderband 4: „Raum und Zeit. Soziologische Beobachtungen zur gesellschaftlichen Raumzeit“, hrsg. von Henkel, A./Laux, H./Anicker, F., S. 171-187. |
2017 | Burzan, N.: Eventisierung als Erscheinungsform hybrider Ereignisse? Konzeptionelle Überlegungen am empirischen Beispiel von Museen. In: Betz, G. J./Hitzler, R./Niederbacher, A./Schäfer, L. (Hrsg.): Hybride Events. Zur Diskussion zeitgeistiger Veranstaltungen. Wiesbaden: Springer VS, S. 219-231. zum Beitrag |
2017 | Burzan, N./Lengersdorf, D.: Ist Nicht-Teilnahme per se (Selbst-)Ausschluss? Ein Plädoyer für differenzierte Sichtweisen auf Dynamiken und Akteure am Beispiel von Museumsbesuchen. In: Lessenich, S. (Hrsg.): Geschlossene Gesellschaften. Verhandlungen des 38. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Bamberg 2016. zum Beitrag |
2016 | Eickelmann, J.: Wenn Kunst zum Ereignis wird. Eine Kritik der ästhetischen Praxis erlebnisorientierter Museen, in: Kauppert, M./ Eberl, H. (Hrsg.): Ästhetische Praxis. Reihe: Kunst und Gesellschaft. Wiesbaden, Springer VS: 355-376. zum Beitrag |
2016 | Burzan, N.: Methodenplural erhobene Daten. Am Beispiel der Erforschung von Erlebnisorientierung in Museen. In: Burzan, N./Hitzler, R./Kirschner, H. (Hrsg.): Materiale Analysen. Methodenfragen in Projekten, Wiesbaden: Springer VS, S. 95-110. zum Beitrag |