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Fakultät So­zi­al­wis­sen­schaft­en
DFG-Projekt

Akademisch Beschäftigte ‚in Bewegung‘

Das Forschungs­pro­jekt untersuchte im Methodenmix räumliche Mobilität in der Wissenschaft und den Zusammenhang mit Karrieremobilität.

Forschungsfragen und Ziele des Projekts:

  • Wie sieht die räumliche Mobilität von Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Karrierephasen aus?
  • Wie bewerten Wissenschaftler*innen ihre räumliche Mobilität vor dem Hintergrund prekärer Beschäftigungen?
  • Welchen Einfluss hat räumliche Mobilität auf die Karrierechancen?

 

Logo DFG-Projekt Mobilität © Quelle: eigener Entwurf

Diese und weitere Fragen untersuchten wir von 2020 bis 2023 und erforschten damit den bislang überraschend wenig untersuchten Zusammenhang von räumlicher und sozialer Mobilität und dessen Einflussfaktoren im Feld der Wissenschaft. Wir konzentrierten uns hierbei auf die Disziplinen Biologie, Informatik und So­zio­lo­gie. Die Berücksichtigung der (retrospektiven) berufsbiographischen Verlaufsperspektive über teils mehrere Karrierestufen hinweg erwies sich als besonders fruchtbar, gerade auch im Zusammenhang mit der Analyse (wechselnder) subjektiver Haltungen und Motive zur Mobilität. Gerahmt wurde dies durch ungleichheitstheoretische Perspektiven.

Der empirische Zugang erfolgte dreifach: Nach einer rahmenden quantitativen Sekundäranalyse haben wir sowohl eine quantitative Online-Befragung als auch eine qualitative Interviewstudie durchgeführt. In der Online-Befragung wurden 1.698 Wissenschaftler*innen befragt. Komplexe Zusammenhänge räumlicher Mobilität wurden daraufhin in zwölf Leitfadeninterviews mit Wissenschaftler*innen vertieft, deren Karrieren von ganz unterschiedlichen Mobilitätsmustern durchzogen waren.

Zentrale Ergebnisse:

Unsere Ergebnisse zeigen, dass insbesondere die Postdocphase für viele Wissenschaftler*innen eine besonders mobile Phase darstellt. Diese Mobilität ist vor dem Hintergrund des Spannungsfel-des eines Mobilitätsimperativs in modernen Gesellschaften und der Internationalität der Wissenschaft einerseits und aktuellen Debatten zu Nachhaltigkeit sowie prekären Beschäftigungsbedin-gungen in der Wissenschaft andererseits zu deuten, so dass ein ambivalenter Anforderungs- und Möglichkeitscharakter räumlicher Mobilität entsteht. Gleichwohl erweist sich räumliche Mobilität durchaus als Pluspunkt für die Karriere.

Einige Schlaglichter im Einzelnen:
Befunde der Online-Befragung:

Wie sehen räumliche Mobilitätsmuster in unterschiedlichen Karrierephasen aus?  Postdocs sind besonders mobil, und zwar mit Blick auf tägliches Fernpendeln, Umzüge und auch längere Auslands-aufenthalte. Professor*innen haben hingegen die höchsten Anteile beim Wochenendpendeln und bei kürzeren Auslandsaufenthalten. Promovierende sind im Vergleich am ehesten ‚ortsfest‘. Die Befunde sprechen also für relativ hohe Mobilitätsanforderungen und/oder -gelegenheiten in der Wissenschaft und insbesondere in der Postdocphase.

Welche – ggf. sich wandelnden – subjektiven Haltungen sind damit verbunden? Die besonders mobilen Postdocs empfinden räumliche Mobilität im Vergleich deutlich häufiger als Anforderung. Dies passt zur strukturellen Bedingung eines hohen Befristungsanteils im ‚Mittelbau‘, der auch Stellen- und damit Ortswechsel mit sich bringen kann. Die Betrachtung der Verläufe zeigt, dass viele Postdocs räumliche Mobilität rückblickend auch während ihrer Promotion als Anforderung sahen. Entsprechend wünschen sich deutlich mehr Postdocs als Professor*innen, in den nächsten fünf Jahren (sehr viel) weniger mobil zu werden, wofür überwiegend private Gründe angeführt werden. Somit ist es in der Wissenschaft weniger so, dass mobilitätsfreudige Menschen auf Gelegenheiten treffen, neue Orte und Menschen kennenzulernen, und die Wissenschaft sozialisiert auch nicht in ein ‚Normalmodell‘ hoher räumlicher Mobilität, sondern der Anforderungscharakter überwiegt bei den (besonders mobilen) Postdocs.

Befunde der qualitativen Teilstudie:

Qualitativ haben wir eine Typologie mit drei Mobilitätstypen entwickelt:

Die Wissenschaftler*innen des ersten Typs: ‚Mobilität nicht um jeden Preis‘ zeichnet aus, dass ihre Mobilitätsbereitschaft recht klare räumliche und/oder zeitliche Grenzen hat. Sie haben sich entweder noch nicht klar für eine berufliche Orientierung in der Wissenschaft entschieden oder sie sind zwar stark wissenschaftsorientiert, doch konkurriert diese Orientierung mit einer ebenfalls starken Bedeutung von Paarbeziehung und/oder Familie. Die Sphären von Beruf und Privatleben werden dabei recht deutlich voneinander getrennt.

In Typ zwei sind Wissenschaftler*innen, für die Mobilität eine ‚Durststrecke‘ hin zu einer entfristeten Stelle bedeutet. Räumliche Mobilität im Sinne überregionaler bzw. internationaler Pendel- und Umzugsbereitschaft wird als Anforderung in Kauf genommen, um das Karriereziel einer Professur bzw. einer unbefristeten Beschäftigung zu erreichen. Hier sind sowohl Personen zugeordnet, die sich noch ‚auf der Durststrecke‘ befinden, als auch solche, die die unbefristete Beschäftigung er-reicht haben und die in der Folge ortsgebundener wurden und zugleich (z.B. nach einer mehrjährigen Fernbeziehung) mehr Zeit für die Paarbeziehung/Familie aufwenden konnten.

Wissenschaftler*innen, die zu Typ drei zählen, verstehen Mobilität als ‚Normalität‘. Für diese gehört räumliche Mobilität dauerhaft zum Berufs- und Lebenskonzept dazu. Einflussfaktoren sind hier – nicht im Einzelnen hinreichend, sondern als Konstellation typisch – eine ausgeprägte Wissenschafts- bzw. Karriereorientierung, in der Arbeit und ‚Leben‘ vergleichsweise entgrenzt sind, frühe Erfahrungen mit räumlicher Mobilität (z.B. Auslandsphasen bereits im Studium) und dass die Partner*innen die räumliche Mobilität konsequent mittragen. Schließlich ist die Karriere zumindest der von uns Befragten bislang vergleichsweise bruchlos verlaufen.

Die Typen decken somit ein breites Spektrum ab, was zugleich bedeutet, dass räumliche Mobilität auch in der Wissenschaft als qualifiziertem Berufsfeld nicht per se zunehmend ‚normaler‘ wird oder als statisches Phänomen angesehen werden kann, sondern an spezifische – sich teils wandelnde – Bedingungen gekoppelt ist. Dass etwa die Unterstützung räumlicher Mobilität in einer Paarbeziehung zu den wichtigen Einflussfaktoren gehört, zeigt dabei, dass neben der Verlaufsperspektive auch ‚linked lives‘ eine fruchtbare Perspektive auf Wissenschaftskarrieren darstellen.

 

Projektleitung

Prof. Dr. Nicole Burzan, TU Dort­mund
Prof. Dr. Nadine Schöneck-Voss, HS Niederrhein (weitere Projektinformationen finden sich auch hier)

Projektteam

Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen
Dr. Benjamin Neumann, TU Dort­mund
M.A. Sören Nonnengart, HS Niederrhein

Assoziiertes Projektmitglied
Dr. Silke Kohrs, TU Dort­mund

Studentische Hilfskräfte
B.A. Adina Korte, TU Dort­mund
Kevin Sikeew, HS Niederrhein

Publikationen

Neumann, Benjamin/Burzan, Nicole (in Vorbereitung): Zwischen Anforderung und Möglichkeit: Zur Bedeutung räumlicher Mobilität in Wissenschaftskarrieren von Wissenschaftler:innen aus Biologie, Informatik und So­zio­lo­gie.
Burzan, Nicole/Benjamin, Neumann (eingereicht): Mobilitätsimperative in der Wissenschaft? Formen räumlicher Mobilität, Einschätzungen und Zusammenhänge in verschiedenen Karrierephasen.
Neumann, Benjamin (2023): Un-/Gleiche Prekarität?! Wissenschaftsinterne Unterschiede der Anstellungsbedingungen in Informatik Biologie und So­zio­lo­gie. Verhandlungsband "Polarisierte Welten" zum 41. Kongress der Deutschen Gesellschaft für So­zio­lo­gie. [Volltext]

Kohrs, Silke; Schöneck, Nadine M. (2019): Akademische Karrierewege, in: Burzan, N. (Hrsg.): Komplexe Dynamiken globaler und lokaler Entwicklungen, Verhandlungsband des 39. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für So­zio­lo­gie in Göttingen 2018   Volltext

Kohrs, Silke (2018): Kategorienbildung in der Anfangsphase – Reflexionen zur quantitativen Erforschung des Zusammenhangs von sozialer und räumlicher Mobilität, in: Burzan, N./Hitzler, R. (Hrsg.): Typologische Konstruktionen. Prinzipien und Forschungspraxis. Wiesbaden: Springer VS. S. 327-344  Volltext

Vorträge und Organisationen

"Spatial and social mobility in academic careers. Mobility patterns, career stages and disciplinary peculiarities" (Benjamin Neumann & Sören Nonnengart), Vortrag im Rahmen des Workshops "Current Perspectives on Spatial Mobilities" des Instituts für Arbeitsmarktforschung (IAB), 30. und 31. März 2023, Nürnberg.

"Un-/Gleiche Prekarität?! Wissenschaftsinterne Unterschiede der Arbeits- und Anstellungsbedingungen in Informatik, Biologie und So­zio­lo­gie" (Benjamin Neumann), Vortrag in der Ad-Hoc-Gruppe ‘Innerhalb‘ und ‚Außerhalb‘ der Wissenschaft als (zunehmend) polarisierte Welten auf dem 41. Kongress der Deutschen Gesellschaft für So­zio­lo­gie an der Uni­ver­si­tät­ Bielefeld, Bielefeld, September 2022.
"Akademiker*innen in Bewegung?! Method(olog)ische Reflexionen entlang eines Forschungsprojekts zu sozialer und räumlicher Mobilität" (Benjamin Neumann), Vortrag auf der Tagung Mixed Methods in der Sozialstrukturanalyse: Integrationspotenziale qualitativer und quantitativer Forschungsansätze an der Uni­ver­si­tät­ Göttingen, Göttingen, April 2022
"Erforschung von räumlicher und sozialer Mobilität im Kontext akademischer Karrierewege" (Sören Nonnengart), Vortrag im Rahmen des Projekte & Publikationen Plenums der Hochschule Niederrhein, Mönchengladbach, November 2021
"Räumliche und soziale Mobilität(en) erforschen: Herausforderungen und Erkenntnisse eines methodenpluralen Forschungsprojekts" (Benjamin Neumann), Vortrag im Rahmen des Online-Workshop Methodenplurale Forschungsdesigns, Dort­mund, November 2021

„Erforschung von sozialer und räumlicher Mobilität im Kontext akademischer Karrierewege: Konzeptionelle Ansätze und methodischer Zugriff“ (Silke Kohrs), Vortrag im Rahmen des Workshops Transnationales Sampling und die quantitative Forschung zu Mobilitätsprozessen, Hamburg, Januar 2020

„The link between spatial and social mobility of higher education staff: Approaches for identifying causal effects“ (Silke Kohrs), Oral presentation within „RS16 - Sociology of Spatial Mobilities“, at the 14th Conference of the European Sociological Association (ESA), Manchester, August 2019

Organisation der Ad Hoc Gruppe „Akademische Wege auf dem Prüfstand. Zum Nexus von sozialer und räumlicher Mobilität in der Wissenschaft“ (Silke Kohrs und Nadine Schöneck-Voß) auf dem 39. Kongress der Deutschen Gesellschaft für So­zio­lo­gie, Göttingen, September 2018

„Karriere(wege) und Hochschulstandorte: Umzugs- und Pendelmobilität in der Wissenschaft“ (Silke Kohrs und Nadine Schöneck-Voß), Vortrag in der Ad Hoc Gruppe Akademische Wege auf dem Prüfstand. Zum Nexus von sozialer und räumlicher Mobilität in der Wissenschaft auf dem 39. Kongress der Deutschen Gesellschaft für So­zio­lo­gie, Göttingen, September 2018

„Karrieremobilität in der Wissenschaft: Ohne räumliche Flexibilität auch kein ‚Erfolg’?“ (Silke Kohrs), Vortrag in dem Panel der ÖGS Sektion ‚Soziale Un­gleich­heit‘ im Rahmen des Österreichischen Kongresses für So­zio­lo­gieSo­zio­lo­gie zwischen Theorie und Praxis“, Graz, Dezember 2017

„Kategorienbildung in der Anfangsphase – Reflexionen zur quantitativen Erforschung des Zusammenhangs von sozialer und räumlicher Mobilität“ (Silke Kohrs), Vortrag im Rahmen des Workshops Typologische Konstruktionen und/oder kategoriale Klassifikationen, Dort­mund, Dezember 2016

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