Handlungsstrategien der Mitte der Gesellschaft
In dem Forschungsprojekt „Handlungsstrategien einer ‚verunsicherten‘ Mitte der Gesellschaft. Ein Kohortenvergleich“ wurde der Frage nachgegangen, inwiefern die Krisendiagnose einer zunehmend verunsicherten Mittelschicht zutrifft.
Danach ist die Mittelschicht trotz ihrer ökonomischen und Bildungsressourcen weniger als noch Jahrzehnte zuvor geschützt vor prekären Lebensbedingungen; der Statuserhalt (auch eigener Kinder) erscheint weniger selbstverständlich angesichts Entwicklungen wie der Deregulierung der Erwerbsarbeit und dem Umbau des Wohlfahrtsstaats.
Durch zwei methodische Zugänge – eine Sekundäranalyse (Längsschnittdaten SOEP) und offene Interviews mit zwei Berufsgruppen – wurde untersucht, wie unsicher sich qualifizierte Erwerbstätige in der Mittelschicht fühlen und was Menschen konkret tun, um Unsicherheiten zu begegnen. Bekämpfen sie diese mit allen Mitteln, oder gewinnen Bastelbiographien an Normalität?
Die qualifizierte Mittelschicht ist sicherer als erwartet.
So haben laut der quantitativen Teilstudie große Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation zwischen 2000 und 2011 zwar zugenommen, jedoch weder linear oder in einem enormen Ausmaß, noch im Schichtvergleich in überproportionaler Weise. Mittlere Schichten sorgen sich im Schichtvergleich in mittlerem Ausmaß bei schichtübergreifend ähnlichen Verläufen. Die Analyse von Handlungsweisen zeigte – mit methodischen Einschränkungen – wenig übergreifende Muster. Von einer homogen verunsicherten Mittelschicht ist jedenfalls nicht auszugehen.
Dies bekräftigt auch die qualitative Teilstudie: Neben einem Typus, der sich unsicher fühlt und Unsicherheit entsprechend (selbst oder mit Hilfe des Partners) bekämpft, gibt es andere Typen, die sich beruflich nicht unsicher fühlen oder die berufliche Unsicherheit zumindest phasenweise gut aushalten können. Entsprechend zeigen sich unterschiedliche Handlungsmuster, die z.B. auf berufliche Profilbildung oder Karriere setzen oder darauf ausgerichtet sind, trotz Unzufriedenheit prioritär ‚Unsicherheit zu vermeiden‘. Dabei ist nicht von einem Habituswandel hin zu einer verbreiteten Normalität unwägbarer Bastelbiographien auszugehen; bei aller Heterogenität der Fälle sind z.B. oft nach wie vor Sicherheitserwartungen vorhanden. Selbst wenn dies nicht immer mit Gestaltungsoptimismus oder Zukunftsplanung verbunden ist, haben die qualifizierten Erwerbstätigen durchaus oft den Eindruck, dass sie über Ressourcen und Optionen verfügen, ihren Status in der Mitte der Gesellschaft zu erhalten.
Ob diese Haltungen und Handlungsmuster durch das Berufsleben tragen, ist eine andere Frage. Von daher bedeuten die Ergebnisse keine vollständige Zurückweisung jeglicher Krisendiagnosen für qualifizierte Erwerbstätige oder die Mittelschicht schlechthin.
Projektlaufzeit
2011 bis 2014 (24 Monate)
Projektteam
Leitung |
|
Mitarbeitende | Ivonne Küsters M.A. |
Publikationen (Auswahl)
Burzan, Nicole; Kohrs, Silke; Küsters, Ivonne (2014): Die Mitte der Gesellschaft: Sicherer als erwartet? Weinheim: Beltz Juventa
Burzan, Nicole (2014): Unsichere Zukunftsperspektiven in der Mittelschicht? – Methodische Überlegungen und ausgewählte Befunde. In: Behnke, Cornelia/Diana Lengersdorf/Sylka Scholz (Hg.): Wissen – Methode – Geschlecht: Erfassen des fraglos Gegebenen, Wiesbaden: Springer VS, 175-188.
Burzan, Nicole; Kohrs, Silke (2012): Vielfältige Verunsicherung in der Mittelschicht – Eine Herausforderung für sozialen Zusammenhalt? In: Pries, Ludger (Hg.): Zusammenhalt durch Vielfalt? Bindungskräfte der Vergesellschaftung im 21. Jahrhundert. Wiesbaden: VS, 101-119.